Sieben Thesen zur Stärkung der Energiewende mit Vor-Ort-Systemen
Mit dem Boom an Balkonsolaranlagen, dem Zubau an Wärmepumpen sowie der neu eingeführten gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung geraten sogenannte Vor-Ort-Systeme verstärkt in den Fokus. Solche Ansätze, erneuerbare Energie in räumlicher Nähe intelligent zu erzeugen, zu speichern und zu verbrauchen, sind nicht nur für die Betreibenden der Anlagen vorteilhaft, sondern auch für die Energiewende insgesamt nützlich. In einem neuen Thesenpapier untersuchen Forschende des Fraunhofer-Exzellenzclusters »Integrated Energy Systems« (CINES) die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Vor-Ort-Systemen.
In Deutschland bestehen heute bereits verschiedene Ausgestaltungen von erneuerbaren Vor-Ort-Systemen. Zu den etablierten Konzepten gehören Mieter- und Regionalstrom sowie die meist genossenschaftlich organisierten Bürgerenergiegesellschaften. »Die Idee, vor Ort erzeugte erneuerbare Energie vor Ort zu verbrauchen, ist an sich nicht neu. Aber durch zunehmend günstig verfügbare Technologien wie Balkonsolaranlagen, Batteriespeicher, Wärmepumpen und E-Mobilität, aber auch neue regulatorische Rahmenbedingungen wie die im Solarpaket 1 beschlossene gemeinschaftliche Gebäudeversorgung, erhält das Thema eine völlig neue Dynamik«, so Projektleiter und Mitautor Dr. Matthias Kühnbach. »Daher haben wir den aktuellen Stand unserer Forschung und weitere Analysen zusammengetragen, wie Vor-Ort-Systeme zu einer effizienten und partizipativen Energiewende beitragen können.« Das Ergebnis sind sieben Thesen zu Vor-Ort-Systemen, die sowohl ökonomische und technische als auch soziale Aspekte der Energiewende adressieren und die Vorteile, aber auch die Grenzen von und Handlungsbedarfe für Vor-Ort-Systeme aufzeigen.
Solar-Potenziale partizipativ erschließen
Gerade in Mehrfamilienhäusern standen der umfangreichen Erschließung der Dachflächen für Photovoltaik bisher administrative und wirtschaftliche Hürden entgegen. Eine Wirtschaftlichkeitsanalyse des CINES-Teams zeigt, dass mit Mieterstrom und der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung nun zwei Konzepte zur Verfügung stehen, die aus Sicht der Investoren wirtschaftlich attraktiver sind als die herkömmliche Volleinspeisung. »Wir gehen davon aus, dass dies nun die Bereitschaft erhöht, mehr Dachflächen auf Mehrfamilienhäusern für Photovoltaik (PV) zu erschließen«, so Paula Oberfeier, leitende Autorin des Thesenpapiers. Auch für Einfamilienhäuser sieht sie Potenzial, die Dachbelegung mit Photovoltaikmodulen zu erhöhen, sofern sich der zusätzliche Strom in der Umgebung vermarkten lässt, wofür aber aktuell noch die Rahmenbedingungen fehlen.
Während die Photovoltaik bislang überwiegend bei Eigentumsimmobilien genutzt wurde, erhalten mit Balkonsolar, der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung sowie dem künftig gestärkten Energy Sharing auch Mieterinnen und Mieter immer mehr Optionen, sich an der Energiewende aktiv zu beteiligen. Durch den hohen Anteil an Mietwohnungen in Deutschland rechnet die Forschungsgruppe mit Vorteilen für die Akzeptanz von Erneuerbare-Energie-Projekten. Zudem sorgen die dezentral errichteten Anlagen auch für verschiedene Einnahmen und Kosteneinsparungen, die dem lokalen Wirtschaftskreislauf zugutekommen.
Flexibel, netzdienlich und resilient
Weiterhin simulierten die CINES-Forschenden, inwieweit die zunehmende Verbreitung von PV-Anlagen mit Batteriespeicher, Wärmepumpen und Elektromobilen auch das Flexibilitätspotenzial von privaten Haushalten erhöhen kann. Im Ergebnis schätzen sie, dass ein durchschnittliches Mehrfamilienhaus von zehn Parteien im Jahr 2030 seine Hausanschlussleistung um 10 Kilowatt (kW) erhöhen bzw. um 6 kW senken kann, indem Stromverbräuche verschoben oder Speicherkapazitäten genutzt werden. Diese sektorenübergreifenden Flexibilitäten können so eingesetzt werden, dass sie Last- und Einspeisespitzen abschwächen und so das vorgelagerte Energiesystem, beispielsweise das lokale Stromverteilnetz, stabilisieren. Wenn diese Betriebsführungsweisen auch netzseitig gesteuert werden, wird es denkbar, Vor-Ort-Systeme in Netzbetriebsprozesse und ins Engpassmanagement einzubinden.
Bei Störungen und Ausfällen des vorgelagerten Energiesystems ist es schließlich möglich, mit Vor-Ort-Systemen eine lokale Grund- oder Minimalversorgung aufrechtzuerhalten.
Technische und regulatorische Rahmenbedingungen
Um diese Flexibilitäten erfolgreich zu mobilisieren, bedarf es technisch der weiteren Digitalisierung des Energiesystems. Wenn jedoch immer mehr Haushalte immer größere Teile ihres Strombedarfs durch Eigenverbrauch decken, kann dies unter den aktuellen Regelungen dazu führen, dass die Netzentgelte für alle Netzkunden steigen. Um diese Problematik zu umgehen, empfehlen die CINES-Forschenden eine Reform der Netzentgelte. Insbesondere sei es zielführend, die Netzentgelte dynamisch an der erwarteten Netzbelastung auszurichten. Das würde einen Anreiz bieten, steuerbare Verbraucher, Speicher und Erzeuger netzverträglicher zu betreiben.
Im Vergleich verschiedener Vor-Ort-Konzepte zeigt sich zudem, dass vor allem diejenigen Konzepte hohe Akzeptanz erfahren, die ohne hohe administrative Hürden auskommen, beispielsweise Balkonsolar-Anlagen. »Insofern sollten wir bei zukünftigen Vor-Ort-Systemen auf eine möglichst einfache Umsetzung achten«, betont Paula Oberfeier. »Nur bei einem gesunden Aufwand-Nutzen-Verhältnis können wir Leute und Unternehmen dafür gewinnen, diese wertvollen, lokalen Energiewende-Potenziale zu erschließen.«